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Dyskalkulie und Schule

Das gesellschaftliche Grundwissen wird hierzulande an die nachwachsenden Generationen (im Wesentlichen) im staatlich organisierten öffentlichen Schulwesen weitergegeben. Es liegt daher nahe, im Fall von Störungen des Lernprozesses zu erwarten, dass dieses Schulsystem darauf angemessen reagiert. Wenn einzelne Kinder im herkömmlichen Unterricht z.B. das Rechnen nicht oder nicht ausreichend erlernen, ist von einer solchen Störung auszugehen. Zu untersuchen wäre dann, wo die Ursachen dieser Störung liegen, um die Störung zu beseitigen und schlimme Folgen für das betroffene Kind zu vermeiden oder rückgängig zu machen. Mittel dafür werden zum Teil in der Sonderpädagogik und der Didaktik der Mathematik bereitgestellt.

Auch im Fall der Lernstörung 'Dyskalkulie' hat das öffentliche Schulsystem den staatlichen Auftrag und beansprucht die Kompetenz zu ihrer Behebung. Beispielsweise wird in vielen Schulen Förderunterricht angeboten. Dieser Anspruch sollte von Eltern betroffener Kinder sehr ernst genommen werden, da aus ihm juristisch im Fall von Anträgen auf staatliche Unterstützung bei der Behebung der Lernstörung abgeleitet wird, dass sie sich an erster Stelle an die Schule wenden müssen. Es wird davon ausgegangen, dass in erster Linie die staatlichen Schulen für die Förderung rechenschwacher Kinder zuständig sind, und dass andere (vor allem therapeutische) Hilfen erst nachrangig in Betracht zu ziehen sind (Subsidiaritätsprinzip).

Diesem formalen Anspruch an das öffentliche Schulsystem entspricht jedoch im Fall von Dyskalkulie tatsächlich nur in seltenen Ausnahmefällen die inhaltliche Kompetenz der einzelnen Schule. Das betrifft sowohl die angebotenen Maßnahmen (in der Regel Förderunterricht) als auch den Ausbildungsstand des Lehrpersonals. Welcher Förderunterricht beginnt denn mit der präzisen Ermittlung der individuellen Lernausgangslage (Lernstandsdiagnose)? Welcher Lehrer ist denn auf der Grundlage einer solchen Lernstandsdiagnose in der Lage, eine Intervention zu planen und durchzuführen, die sich an den individuell ausgeprägten Eigenarten und Störungen des Lernprozesses sowie der subjektiven Verarbeitung der Leistungsschwäche orientiert?

Die Ursachen für diese regelmäßig fehlenden Kompetenzen liegen in der derzeitigen Situation der universitären Ausbildung von Lehrern aller Schulstufen, in der die Studenten nur in wenigen Ausnahmen überhaupt zur Befassung mit dem Phänomen 'Dyskalkulie' angeregt werden. Bisher ist kein Studiengang für Lehramtsstudenten bekannt, der die Befähigung zur Ermittlung der individuellen Lernausgangslage und zur Planung und Durchführung einer dementsprechenden Intervention einschließt. (Wer sich mit den Hintergründen und Ursachen dieses eigenartigen Auseinanderfallens von Anspruch und Kompetenz näher befassen will, sei z.B. auf die Bücher von Ralf Röhrig oder Fred Steeg verwiesen [kommentierte Literaturliste] oder auf den online verfügbaren Artikel "Rechenschwäche/Dyskalkulie: ärgerliches Nebenprodukt schulischer Widersprüche.")

Unabhängig von der bildungspolitischen Bewertung dieses Sachverhalts muß man derzeit im Fall von Dyskalkulie davon ausgehen, dass kompetente Hilfe in der Regel eher von privaten Therapieinstituten zu bekommen ist als vom öffentlichen Schulsystem.
Das hat erhebliche Konsequenzen für das praktische Vorgehen des Hilfesuchenden. Private Therapiepraxen arbeiten nicht auf staatliche Rechnung, sondern finanzieren sich über Honorare, die sie ihren Klienten berechnen. Eine staatliche Förderung ist zwar prinzipiell möglich (§§ 27 bzw. 35 KJHG), muß aber in jedem Einzelfall erst einmal beantragt und genehmigt werden. Wegen des Subsidiaritätsprinzips setzt sie aber voraus, dass zunächst im Rahmen der Schule versucht worden ist, die Lernstörung zu beheben, und dass diese Versuche erfolglos verlaufen sind - und dass die Eltern das im Zweifel auch nachweisen können! (siehe unten Schultipps)
Darüber hinaus gibt es auch auf dem privaten Markt erhebliche Qualitätsunterschiede. Eine übergreifende Qualitätsbeurteilung ("Therapeuten-TÜV") sowie ein übergreifendes System der Qualitätssicherung gibt es bisher nur in Ansätzen auf freiwilliger Basis, z.B. im Rahmen eines von der Ev. FH RWL, Bochum, und der RWTÜV-Akademie durchgeführten Studiengangs. Hilfesuchende sind daher darauf angewiesen, die Qualität der angebotenen Dyskalkulietherapie selbst zu beurteilen, wozu es allerdings veröffentlichte Qualitätskriterien gibt ( "Mein Kind ist vielleicht rechenschwach - was nun?" Beitrag aus dem KOGNOS-Handbuch für Eltern (Der Elternratgeber)
)

Schultipps:

Wenn Ihr Kind Ihrer Meinung nach besondere Probleme in Mathematik hat, bestehen Sie der Grundschule gegenüber auf individueller, inhaltlicher Analyse des Wissensstandes (Lernstandsanalyse) und individueller Leistungsbeurteilung (Aussetzen der üblichen, vergleichenden Bewertungen und Prüfungen). Wenden Sie sich gegen sinnlose Überforderungen (auch bei den Hausaufgaben) und beschämende Unterrichtssituationen, mit denen Ihr Kind vielleicht konfrontiert ist. Bitten Sie um eine gezielte individuelle Förderung Ihres Kindes, die auf einer individuellen, förderdiagnostischen Grundlage aufbaut. Lehnen Sie unspezifische Rechenübungen und zeitliche Mehrbelastungen für Ihr Kind ab. Machen Sie nicht selbst den Fehler, Ihr Kind wegen schulischer Konkurrenzanforderungen, die es zur Zeit nicht erfüllen kann, unter Druck zu setzen.

In einem Artikel in Bildung real 2-2002 - der Verbandszeitschrift des Realschullehrerverbandes - formuliert Heribert Brabeck, Referatsleiter im Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, anläßlich eines Schreibens der Bezirksregierung Arnsberg vom Dezember 2001, in dem - gerade weil der zehn Jahre alte Runderlass des MSWF NRW vom 19. Juli 1991 (der sogenannte Legasthenie-Erlass) und eine entsprechende Rundverfügung der Bezirksregierung vom 28. Juni 1999 von den Schulen nicht beachtet wird - auf die Aufgabe der Schule, Schwierigkeiten der Schüler/innen zu erkennen und darauf gemäß Nr, 2 - 4 des Runderlasses zu reagieren, hingewiesen und darüber hinaus verfügt wird, dass der Runderlass bei Vorliegen der Rechenschwäche (Dyskalkulie) sinngemäß anzuwenden ist, 11 Grundsätze für den schulische Umgang mit rechenschwachen Schülern und er spricht sich zugleich dafür aus, von den übrigen Bezirkregierungen gleiches zu fordern. Bei Dyskalkulie (Rechenschwäche) den Runderlass zur LRS sinngemäß anwenden (Dieser Link ist zur Zeit nicht erreichbar.)

Tipp:

Wenn Sie im Gespräch mit der LehrerIn bzw Schulleitung nicht so recht weiterkommen, aber Förderung für und Rücksichtnahme auf Ihr Kind erreichen möchten, rufen Sie in Ihrem zuständigen Ministerium an (Bildungs-, Schul-, Kultusministerium) und lassen Sie sich mit einem der zuständigen ReferatsleiterInnen verbinden (z.B. Referat Eigenverantwortliche Schule, Referat Individuelle Förderung, Referat Grundschule).

Telefonnummern zuständiger Ansprechpartner finden Sie auf den Orgaplan-Webseiten der zuständigen Abteilungen des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf bzw. im Organisationsplan (Vorwahl 0211):
Abteilung 3: Grundsatzangelegenheiten des Bildungswesens (Aufgabenplanung, Bildungsdialog, Unterrichtsversorgung, Modellversuche etc.)
Abteilung 4: Lehreraus- und fortbildung, Individuelle Förderung, Internationales (Gruppe 41: Individuelle Förderung, Hochbegabte, Fortbildung, Internationales)

Abteilung 5: Allgemeinbildende Schulen, Förderschulen (Gemeinsamer Unterricht, Förder-, Grund-, Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien)

Fragen Sie danach, wer zum mathematischen Denken und Wissen Ihres Kindes eine Lernstandsanalyse erstellen kann (sind in dieser Hinsicht qualifizierte Beratungslehrer Mitglieder des Kollegiums der Schule Ihres Kindes oder gibt es kollegiumsfremde in dieser Hinsicht qualifizierte Beratungslehrer, die sie ansprechen können).

Lassen Sie sich beraten, ob und welche Fördermöglichkeiten, die auf einer Lernstandsanalyse aufbauen, es im Rahmen der Schule für Ihr Kind gibt.

Fragen Sie danach, welche entlastenden flankierenden Maßnahmen für das Fach Mathematik - Notenaussetzung, Befreiung von Klassenarbeiten und Tests, Hausaufgabenbefreiung, Befreiung von mündlichen Anforderungen - im Interesse Ihres Kindes zur Angstprävention, Vermeidung psychoneurotischer Sekundärproblematiken, Vermeidung von kontraproduktiven Lernerfahrungen und Verhinderung von Versagermentalität ergriffen werden können.

Sprechen Sie anschließend wieder mit dem/der LehrerIn darüber, was konkret in der Schule für Ihr Kind besser gemacht werden kann. Verweisen Sie dabei auf die Auskünfte, die Sie von dem/der Referatsleiter/in erhalten haben.


Auch in den Schulämtern der Städte bzw. Kreise bzw. den Schulabteilungen der Bezirksregierungen können sie Ansprechpartner finden.
Nützliche Links zu Schule von A bis Z einschließlich Seiten mit den Adressen, Telefonnummern und Internetseiten der Bezirksregierungen bzw. der Schulämter finden Sie auf diesen beiden Webseiten: Schulministerium NRW Für Eltern und Schulministerium NRW Für Lehrer.



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